Folge der Spur der Angst!

M4/März 2000

„Folge der Spur der Angst“ war eine der essentiellen Erkenntnisse, die ich vom Coaching im Rahmen der Karriereförderung für Nachwuchsführungskräfte, das ich gemeinsam mit einer Kollegin und einem Kollegen machen durfte, mitnehmen konnte. Abgesehen von sehr persönlichen Erfahrungen, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte, war es das Thema „Angst“, das uns flamboyant getroffen und mich zu diesem Artikel inspiriert hat.

Wer sich an dieser Stelle frägt, warum er bzw. sie sich mit Angst auseinandersetzen solle, der möge jetzt besser zum nächsten Artikel surfen.

Natürlich ist die Konfrontation mit Angst nichts angenehmes. Dennoch bin ich der Meinung, dass sie unsere Verbündete ist und die Funktion eines Autopiloten übernehmen kann, der uns für die Antwort auf die Frage nach der richtigen Abzweigung bei der nächsten Kreuzung des Lebens, eine fundierte Entscheidungsgrundlage bietet. Abgesehen davon glaube ich, dass in diesem Kontext auch die Intuition als Wegweiserin zu erwähnen ist, da meiner Meinung nach viele Antworten in uns schlummern, wir jedoch nicht genug auf uns selbst hören. Damit die verschiedenen Ebenen der Angst nicht verwechselt werden, erscheint ein kurzer Exkurs in die Psychologie und Philosophie angebracht.

Zunächst ist allen Arten der Angst gleich, dass es sich um einen emotionalen Zustand handelt, bei dem wir einen plötzlichen und sehr starken Erregungsanstieg verspüren. Unser Herzschlag beschleunigt sich, die Atemfrequenz und der Blutdruck erhöhen sich, unsere Pupillen erweitern sich. Angst folgt auf die Wahrnehmung im einzelnen nicht genauer zu bestimmender Gefahrensignale, liegt aber doch vor der Entscheidung, wie auf diese zu reagieren ist. In unzähligen Sonderformen begegnen Menschen der Angst, aber auch die Angstlosigkeit wäre bedrohlich. Die Angst vor tatsächlich vorhandenen Gefahrenreizen der Umwelt, die Freud als „Realangst“ bezeichnet, schützt uns im Alltag. Viele setzen sich einer Realangst auch freiwillig aus. Man denke bloss an das überreiche Angebot an „Excitement-Freizeit-Activities“, das vom konservativen Praterbesuch inklusive Hochschaubahntrip, über „Bungee-Jumping“ bis hin zum „Canyoning“ keine Wünsche offen lässt. Aber darum geht´s eigentlich nicht und ein bisschen „Spass“ muss ja auch sein, sagte schon Herbert „Happy“ Prikopa. Nur zur Vollständigkeit seien die anderen Formen der Angst laut Freud noch erwähnt: „neurotische Angst“ und „Überich- bzw. Schuldangst“.

Was die Angst als Autopiloten betrifft, so finde ich Heideggers Definition äusserst passend: „Angst ist die Grundbefindlichkeit, in der das Dasein vor es selbst und seine eigensten Möglichkeiten gebracht wird. In ihr wird das Dasein auf sich selbst zurückgeworfen, befreit von der Herrschaft des Man und daher frei für sein Selbtseinkönnen."

In der Angst, so Heidegger, eröffnet sich dem Dasein auch seine Endlichkeit und Nichtigkeit. Ich meine, man erkennt daher auch ein Fragment der Unendlichkeit und überall dort, wo wir nicht gemütlich dahinmarschieren sondern steinige und unwegsame Schluchten - also unsere Ängste - bezwingen, können wir sicher sein, dass wir uns auf der „richtigen Strasse“ befinden. Nicht mehr von dem tun, was wir ohnedies können, sondern sich an dem versuchen, was wir noch nicht so gut können, lautet die Devise. Genau dann haben wir den Punkt erreicht, an dem wir an unseren persönlichen Entwicklungspotentialen arbeiten. Darauf basiert individuelle Weiterentwicklung was jedoch hohe Lern- und Risikobereitschaft d.h. Veränderungsbereitschaft voraussetzt.

Da wir nicht als perfekte Change Agents vom Himmel fallen und der Weg dorthin eben kein Sonntagsspaziergang ist sollte man Veränderungen nicht auf die lange Bank schieben. Je eher man den Weg der Angst beschreitet, desto besser. Wer sich nur schwer von was trennen kann, dem hilft vielleicht das chinesische Sprichwort „Wer loslässt, der hat wieder beide Hände frei zum Anpacken“, die Erkenntnis, dass jedes Ende gleichzeitig auch ein Anfang ist und zu guter letzt das eigentlich schon fast zum Axiom avancierte „no risk no fun“.