„Lüge und Statistik“
oder Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!

M4/Juni 1996

Wenn wir zum Frühstück eine Zeitung lesen, konsumieren wir mehr Statistiken als Goethe und Schiller während ihrer gesamten Lebenszeit. Daß es bei dieser regelrechten Inflation medialer Statistik oft zu Fehlern kommt, war zu befürchten, der damit verbundene Diskredit einer ganzen Wissenschaft ist mehr als bedauerlich.

Bei kritischer Betrachtung so mancher Zeitungsartikel drängen sich einige Fragen zwanghaft auf: Warum meldet die Zeitung X steigende Arbeitslosenquoten, während sie in der Zeitung Y sinken? Warum verdienen Leute mit größeren Schuhen mehr Geld? Und überhaupt - Sind Frauen die besseren Autofahrer? Warum sollte so ein kuscheliger Ort wie das Bett der unsicherste Ort der Welt sein? Und warum haben linkshändige, blonde Autorennfahrer noch nie bei Regenwetter auf dem Grand Prix von Monaco gewonnen? Wurde der Yeti wirklich 79 Grad 55 Minuten und 10 Sekunden nördlicher Breite vom Nordpol gesichtet? Warum ist der Heimatpark X der schönste im südlichen Teil des Mühlviertels?

Viele in diesen Fragen verpackte Statistiken sind leider falsch.Vielfach gibt man sich der Illusion der Präzision hin, denn einem genaueren Datum schenkt man mehr Vertrauen als einem runden. Ob die Yeti-Existenz durch eine so exakte Standortbeschreibung untermauert wird, sei also dahingestellt.
Speziell Zeitungen sind auch für die Erzeugung von synthetischen Superlativen verantwortlich. Wen interessiert schon, ob man sich durch die Bezeichnung „Heimatpark“ zum einen von anderen Parks abgrenzt und daß es zum anderen in einem geographisch eng begrenzten Gebiet ohnehin nicht viele Parks gibt. Bekanntlich ist ja der Einäugige unter den Blinden König.
Oft werden, wie bei den Autorennfahrern, Stichproben vorsortiert oder wie bei den Arbeitslosenquoten unterschiedliche Berechnungsmethoden herangezogen und dieser Sachverhalt zu wenig erläutert.
Die meisten Fehler kann man jedoch auf nicht entdeckte Scheinkorrelationen aber auch auf das Verwechseln von Korrelation und Kausalität zurückführen. Frauen machen weniger Unfälle weil sie weniger Autofahren. Leute, die auf großen Fuß leben und viel verdienen sind i.d.R. Männer. Im Bett kann es zwar auch gefährlich werden (Man denke hier nur an „Basic Instinct“), aber da man sich dort am Lebensende meistens befindet, ist der Umkehrschluß unzulässig.
Die Liste mit Fehlerquellen ist jedoch noch länger. Wir sehen 10 Kinder, wobei eines 10 Schlecker hat und die anderen 9 keine haben. Im Durchschnitt kann jedes Kind an einem imaginären Lolli lutschen. Die Angabe eines Mittelwertes ohne die dazugehörige Streuung (Varianz) kann also sehr nichtssagend sein. Und außerdem glauben wir doch auch alle, daß bei Umfragen Komponenten wie die soziale Wünschbarkeit oder Suggestionen eine große Bedeutung auf das Ergebnis haben können.

Statistische Aussagen können bewußt oder unbewußt nicht der Realität entsprechen: Leute, die bewußt manipulieren, benutzen Statistik wie eine betrunkene Person einen Laternenpfahl: vor allem zur Stütze ihres Standpunktes und weniger zur Beleuchtung eines Sachverhaltes. Zu unbewußten Fehlern kann es z. B. kommen, wenn statistische Programmpakete angewandt werden, die ein Minimum an Fachkenntnissen erfordern, bei unkundlicher Benützung jedoch auf den ersten Blick nicht erkennbare falsche Ergebnisse liefern.

Leider ist es nicht einfach, die Welt so zu sehen wie sie wirklich ist, statt wie wir sie eigentlich gerne hätten. Seit Daten existieren gibt es (gewollte und ungewollte) Datenmanipulationen. Lüge und Statistik gehören daher für viele zusammen und herbe Kritik prasselt auf die armen Statistiker nur so herab. Sie sind eigentlich die einzigen, die durch konstante seriöse Datenanalyseanwendung und -darstellung den Ruf der Statistik zu retten versuchen. Es verbleibt der Aufruf, auf diverse Statistiken, die uns im Alltagsleben begegnen, einen zweiten Blick zu werfen und nicht ungeprüft hinzunehmen.

Für alle die sich in dieser Materie vertiefen möchten, empfiehlt sich „So lügt man mit Statistik“ von Walter Krämer, erschienen im Campus Verlag, dem auch einige der oben erwähnten Sachverhalte entstammen.